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Die Anstrengung der Seele – Dschihad un-Nafs

0:50 - January 17, 2022
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Als der Prophet (s.) einst nach der größten Anstrengung gefragt wurde, da antwortete er, dass es ist die „die Anstrengung [dschihad] der eigenen Seele“ ist. Doch wie kann man diese Anstrengung der Seele wirklich verstehen und auch praktisch im Alltag ausführen?

Dschihad-un-Nafs: eine Schwierigkeit für die Muslime?

Der folgende Artikel ist inspiriert vom Buch Dschihad-un-Nafs von Imam Chomeini.

Die Anstrengung der Seele (Dschihad un-Nafs) ist ein wichtiges Thema, weil jeder Gottergebene auf dem Weg zu Allah seine Seele (nafs) erziehen muss, indem er seine Triebseele bekämpft. Der Mensch ist aus einem Grund auf dieser Erde, den jeder mit der Zeit selbst herausfinden soll. Um jedoch hinter diesen Zweck zu gelangen und um letztlich das Lebensziel zu erreichen, schenkte Allah uns Zeit. Die Zeit schränkt ein, wie lange wir brauchen dürfen für das Erreichen unseres optimalen Zustandes. Was aber macht der Mensch mit einer ihm geschenkten Zeit? Nutzt er sie, um anderen zu helfen und nach Wissen zu streben? Oder verschwendet er sie mit Zeitvertreib und wortwörtlichem Totschlagen von Zeit?

Folgendes Gedankenexperiment: Angenommen man stirbt übermorgen. Was würden wir dann alles mit unserer Zeit tun? Die Gläubigen würden wahrscheinlich viel beten und um Reue für all ihre Sünden und Fehler bitten. Wenn manche Nachholgebete offen haben, würden sie diese beten. Vielleicht würden sie sich auch bei allen Menschen entschuldigen, über die sie jemals schlecht geredet haben und bei denen, die ihnen gegenüber ein Recht offen haben, ihre Schuld begleichen. Wahrscheinlich würden sie auch offene Streitigkeiten klären und ihrem Ehepartner sagen, wie wichtig dieser für ihn ist. Da jeder Muslim aber zu den Gläubigen gehören will, muss er sich fragen, warum er das alles nicht auch jetzt schon tut? Irgendetwas hält einen stets davon ab, diese gottesehrfürchtigen Handlungen zu begehen. Wenn wir einmal für uns alleine sind und ein bisschen Zeit und Ruhe haben, was machen wir mit dieser Zeit?

In der Freizeit, statt sie zu verschwenden und für „Spaß“ (der in Wirklichkeit bloßer Zeitvertreib ist) zu nutzen, könnte man sich doch auch Gott bewusst annähern angenähert werden und dennoch tun viele eben jenes nicht in ihrer Freizeit. Was hält sie davon ab, wo doch ihr eigentlich erklärtes Ziel Gott ist? Der Grund hierfür liegt in der Triebseele, der sogenannten befehlenden Seele (nafs-ul-ammara). Sie fördert die Triebe des Menschen und lässt ihn mit Hoffnung auf das Leben in dieser Welt blicken. Bei dieser Seele ist es jedoch wie mit einem Pferd: Entweder es beherrscht einen oder man beherrscht es. Leider lassen sich viele, ja fast alle viel zu stark von ihrer befehlenden Seele leiten. Die Menschen wollen sich nicht anstrengen, um dieses wilde Pferd zu zügeln, weil sie keine Lust haben, weil sie müde sind oder denken, dass sie es morgen auch noch machen könnten. Es stellt sich auch bei uns die Frage: Wer beherrscht hier wen?


Die größte Anstrengung: Die Anstrengung der Seele

Die größte Anstrengung (dschihad-ul-akbar) ist der Dschihad-un-Nafs (Anstrengung der Seele). Wenn wir diese Triebseele, die sich uns oft als unser eigenes Ich zeigt, bekämpft haben, heißt das, dass wir unsere Kräfte und Fähigkeiten selber beherrschen. Aber wie können wir dieses Ich bekämpfen?

Um seinem Egoismus entgegenzutreten, muss der Mensch sich ein bisschen Zeit nehmen und nachdenken, über Gott und die Welt, über die Existenz des Lebens jedes einzelnen Menschen und über seine Verpflichtungen gegenüber seinem Schöpfer. Wenn man gründlich nachgedacht hat, wird einem klar, dass es das Ziel von jedem sein muss, eine höhere und bessere Daseinsform zu erreichen und nicht blind seinen Trieben zu folgen. Bei diesem neuen Bewusstsein wird jedem klar, dass er so wertvolle Jahre verschwendet hat, weil er nicht gegen die Triebe seiner Nafs vorgegangen ist, sondern blind seinen falschen Trieben folgte. Bei dieser Erkenntnis sollte man sich zu dem Schöpfer wenden, Reue zeigen und sich neu auf die Suche des Zieles machen. Man sollte sein Leben und seine Taten nicht nach vergänglichem Glück, vergänglichem Reichtum und vergänglicher Freude ausrichten, sondern für das ewige Glück, ewigem Reichtum und ewiger Freude im Jenseits arbeiten. Diese Anstrengung, gegen die Triebseele anzukämpfen, die einen stets an die Lüste erinnert und zum anziehenden Diesseits bewegt, ist eine sehr schwierige Angelegenheit, wird aber jeden auf eine höhere Daseinsstufe verhelfen.


Die Entscheidung

Wenn man viel nachgedacht hat und die Innenschau beendet hat, ist der nächste Schritt nach dem Willen die Entscheidung.

Wenn hier von Entscheidung die Rede ist, dann ist hiermit die Entscheidung der Grundsteinlegung fürs gesamte Leben gemeint. Damit ist ein Entschluss gemeint: alle Pflichten des Islams zu erfüllen: Sünden beziehungsweise schlechte Taten und Fehler versuchen, wiedergutzumachen, sowie auch unsere verschwendete Zeit. Kurz zusammengefasst: so wie ein gläubiger Mensch leben soll, und zwar nach den Geboten und Pflichten seines Glaubens. Erst das macht uns zu einem vernunftbegabten Wesen. Natürlich sollte man sich dafür zuerst mit den göttlichen Gesetzmäßigkeiten vertraut machen, weil das der einzige Weg zur richtigen Ausrichtung/Erfüllung von einem Leben nach Gottes Willen ist. Dieses Befassen mit den göttlichen Gesetzen ist eine Voraussetzung für die wahrhafte Annäherung an Allah. Wer von den Gläubigen, die genauen Gesetzmäßigkeiten des Glaubens weder genau kennt noch befolgt, wird die höheren Werte der Ethik und Moral nicht erlangen.


Selbstdisziplin und Selbstverpflichtung

Es gibt viele Gefahren im Leben eines jeden Menschen und es wird auch viele Gelegenheiten geben, vom richtigen Weg zu Gott abzukommen und auf den falschen Weg zu gelangt. Wichtig ist hierbei, dass man schnell wieder zu Gott zurückfindet, weshalb man jetzt schon darum beten sollte, immer von Gott begleitet und beschützt zu werden, damit man nie vom richtigen Pfad abweicht, so wie wir auch täglich in unseren Gebeten lesen: „Dir dienen wir, und Dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg“ [Heiliger Quran, 1:5–6]

Der nächste Schritt ist die Selbstdisziplin und Selbstverpflichtung. Diese ist eine Voraussetzung für alle, die auf der Suche nach der Wahrheit sind. Damit ist gemeint, dass man Gottes Gebote befolgen sollte, gegen sie also auf keinen Fall verstoßen sollte. Was dabei hilft, ist sich stets am Morgen jeden Tages vorzunehmen, den ganzen Tag über nicht zu sündigen und alle Gebote und Pflichten zu erfüllen und dann am Abend zu reflektieren, ob man dieses Vorhaben auch eingehalten hat oder nicht.

Natürlich wird es nicht immer leicht sein, aber dennoch ist es nicht unmöglich. Im Gegenteil, Imam Chomeini sagt, es wird sogar nach einer gewissen Zeit zur Gewohnheit werden und niemandem mehr ein Problem bereiten.

Oft kommt es vor, dass der Mensch zu einem Punkt kommt, wo er denkt, dass alles schief läuft, und häufig denkt er dann, dass seine Situation nicht mehr auszuhalten sei. Doch seid euch sicher, dass das wieder nur der Teufel ist, der uns das einreden möchte. Gott würde uns allen niemals irgendeine Prüfung auflasten, die unser Können und unsere Kräfte überschreitet. So wie es auch ein Vers im Quran besagt: „Gott fordert von keiner Seele mehr, als sie vermag.“ [Heiliger Quran, 2:286]


Dankbarkeit

Was uns allen, vor allem gegen die Anstrengung, gegen unser Ich und gegen den Teufel hilft, ist das Gottesgedenken [dhikr]. Man sollte sich so oft man kann an die Gewährungen und geschenkten Gnaden von Gott erinnern. Es sollte selbstverständlich sein, dass der Mensch seinem Gebieter Dankbarkeit und Verehrung für alles erweist, was er bekommen hat und sogar für das, was er nicht bekommen hat und Gott so durch dieses Verwehren den Menschen vor einem Schaden beschützt hat. Gedenkt man der Gaben Gottes wie beispielsweise der Luft, so wird man überwältigt von dieser Schöpfung. Ein jeder ist von ihr abhängig, wenn sie auch nur für 20 Minuten der Welt entzogen werden würde, so wäre nichts und niemand noch am Leben. Hinzu kommt, dass weder Menschen noch Dschinn Gleichartiges je erfinden könnten. Ist das nicht ein wunderbares Geschenk von Gott?

Und denken wir auch einmal über alle anderen Gaben nach. Über unsere Sinne und Fähigkeiten: Jeder Mensch hat grenzenlose Möglichkeiten, diese zu nutzen und Gott hat sie uns geschenkt. Alle Menschen können selbst entscheiden, wie und wofür sie diese Fähigkeiten und Möglichkeiten einsetzen. Man kann sie entweder fürs Gute oder Schlechte einsetzen. Alle unsere Bedürfnisse erfüllt Gott, ohne dass er unsere Anbetung benötigt und egal, ob wir seinen Geboten Folge leisten oder nicht, Er nimmt weder Schaden daran noch hat es einen Vorteil für ihn. Er hat doch nur für uns das Gute befohlen und das Schlechte verboten. Wenn wir all dies sehen, merken wir dann nicht, dass es für uns alle so wichtig ist, einen solchen Gebieter zu achten und zu gehorchen?

Es liegt in der Natur des Menschen, alte Menschen und großen Persönlichkeiten mit Achtung und Respekt zu behandeln. Insbesondere Herrscher und Könige werden von vielen hoch geschätzt und respektiert, weil sie als groß und bedeutend angesehen werden. Aber Gott ist der Schöpfer und Gebieter von allem, dessen Unendlichkeit für den menschlichen Verstand nicht messbar ist. Er ist doch derjenige, den wir am meisten achten, gehorchen und vor dem wir doch am meisten Ehrfurcht haben sollten. Wie können wir denn vor großen Herrschern Furcht haben, während wir nicht einmal vor Gott Angst haben?

Deshalb ist es wichtig, das Herz zu reinigen, den Teufel zu verjagen und so das Herz und den Geist zu göttlichen Bereichen zu machen, damit Gott sich seiner Diener vollkommen annimmt und so wird das Wort des Dieners zum Wort Gottes und sein Blick zum Blick Gottes. Wer die Anstrengung, also den Dschihad unternimmt, ist nicht nur immer wachsam, sondern er strebt ein bewusstes Leben an, das ihn zu einer sehr hohen Stufe führen kann.


Wollen wir das Diesseits oder das Jenseits?

Jeder Mensch lebt nur einmal und jeder hat unglaublich viele Fähigkeiten geschenkt bekommen, wie beispielsweise die Erfindungsgabe, die Vorstellungskraft, die Kraft der Leidenschaft und des Zornes sowie die Kraft der Begierde und Sexualität. Das sind nur wenige von so vielen Fähigkeiten, die Gott jedem Menschen geschenkt hat und jede einzelne Kraft ist für sich für jeden von uns von großem Nutzen. Aber was machen wir mit den Fähigkeiten, die uns geschenkt wurden? Nutzen wir sie für gute oder schlechte Dinge?

Je nachdem, wie wir im Diesseits handeln, so wird auch unser Jenseits davon beeinflusst werden. Wenn wir das Diesseits wollen, mit seinem Trug, dann wollen wir vergängliches, wenn wir aber das Jenseits wollen, dann wollen wir das, was für immer und ewig bleibt. Wer also das Jenseits will, der sollte auch dementsprechend handeln. Hier muss sich nun jeder selbst hinterfragen, wofür er handelt: Handeln wir so, dass wenn wir sündigen, wir zuvor die Konsequenzen und Auswirkungen für das Jenseits bedenken.


Eine Überlieferung von Imam Hussain (a.)

Wenn ein Mensch sündigt, achtet er meistens darauf, dass er alleine ist und ihn keine menschliche Gestalt sieht. Warum? Weil wir Menschen uns schämen, vor anderen zu sündigen, also sündigen wir, wenn wir alleine sind. Und doch sind wir nie allein. Gott ist doch immer da. Wenn wir im Verborgenen sündigen, haben wir dann keine Angst vor Gott, obwohl Er es doch ist, der alles sieht und alles mitbekommt. Wir sollten doch alle vor Ihm am meisten Angst haben und uns am meisten vor Ihm schämen. Gott wird uns sehen, egal, wo wir uns verstecken und egal, wo wir hingehen, er ist immer da.

Dies wird auch an einer Überlieferung von Imam Hussein (a.) deutlich:

„Ein Mann kam zu Imam Hussein (a.) und sagte:
Er: ‚Ich kann das Sündigen nicht lassen, so gib mir einen Rat!‘
Imam Hussein (a.) sagte: ‚Tue fünf Dinge und sündige, wie du willst. Das Erste ist, dass du nicht vom Lebensunterhalt Gottes isst, dann sündige, wie du willst. Das Zweite, entgehe dem Herrschaftsbereich Gottes und sündige, wie du willst. Das Dritte, suche einen Platz, an dem Gott dich nicht sieht, und sündige, wie du willst. Das Vierte, wenn der Todesengel zu dir kommt, um deine Seele an sich zu nehmen, so wehre ihn von dir ab und sündige, wie du willst. Das Fünfte, wenn dich dein Besitzer ins Feuer wirft, dann geh nicht hinein, und sündige, wie du willst.‘“


Das innere Ich und unsere Gedanken

Niemand kann sündigen, ohne dass Gott es mitbekommt und niemand kann ihm entfliehen.

Wenn man eine Sünde begeht, überlegt man nicht, welche Auswirkungen und Folgen es für einen haben wird, weil würde man die Sünde sonst wirklich begehen? Niemand kennt die Qualen, die man in der Hölle erleiden würde, weil wenn wir sie wirklich kennen würden oder auch nur verstehen könnten, würde keiner von uns jemals wieder sündigen. Denn diese Qualen würde unser jetziger menschlicher Verstand nicht verstehen können, denn sie sind viel schlimmer als Schmerzen, die wir ab und zu mal erleiden. Dennoch schenkte Allah uns auch auf dieser Welt Dinge wie Feuer, um zu verstehen, was diesen Qualen ähnlich kommt.

Wenn wir wahre Gottesehrfurcht besitzen, dann würden wir diese Sünden nicht mehr begehen, wir hätten soviel Angst vor der Strafe von Gott und wir würden uns so schämen, dass wir nicht einmal mehr an die Sünde denken würden. Und auch beim Sündigen spielt das Ich und unsere Gedanken eine sehr große Rolle.

Zwar denkt der Mensch in seiner Arroganz oft, dass er seinen Körper selbst vollkommen beherrscht, lässt sich aber doch von seinem Ich und seinen Gedanken beherrschen. Zwar vollzieht er die Taten, wer aber bringt ihn auf die Idee, diese Tat zu begehen? Hier ist Wachsamkeit und stetiges Bewusstsein geboten. Wir müssen aufpassen mit allem, was wir tun, ob wir es für das Diesseits oder fürs Jenseits tun.


Ziel nie aus den Augen verlieren

Wenn wir unser Ziel stets vor den Augen haben und uns auf dieses fokussieren und versuchen, unsere Schleier aufzureißen, dann werden wir unser Leben auf eine ganz andere Art und Weise führen können, wie wir sie jetzt nicht kennen. Aber unser Nafs hindert uns, dieses Ziel zu erreichen, es hindert uns davor, unsere Schleier aufzureißen. Dennoch, wenn wir über unseren Körper bestimmen, wenn wir die Herrscher von unserem Körper werden und uns nicht beherrschen lassen, dann werden wir, so Gott will, eine hohe Stufe bei Gott bekommen können. Wir sagen zwar immer, wir verstehen dies alles, wir wissen doch, welche Strafe unsere Sünden haben oder dass wir belohnt werden für gute Handlungen, doch Verstehen reicht nicht aus, wir müssen begreifen.

Wer wirklich begreift, dass wir nicht für das Diesseits leben, sondern für das Jenseits und wer wirklich begreift, was für hohe Stufen wir im Paradies erreichen könnten, wenn wir all das Schlechte lassen und uns Gott nähern und wer wirklich begreift, was für eine Strafe ihn erwartet, auch nur für die kleinste Sünde und wer wirklich begreift, was das Lebensziel auf dieser Erde ist, der handelt nicht so, wie wir es tun. Seine Sichtweise und seine Art und Weise zu leben und seine Weltanschauung ist weit über dieser. Solche Menschen haben Gewissheit [yaqin].

Und wieder einmal sind die einzigen, die uns daran hindern, Gott näherzukommen, der Teufel und wir selbst. Wir stehen uns selbst im Weg, ins Paradies zu kommen. Also wenn wir herausgefunden haben, wofür wir leben und was unser Ziel auf dieser Erde ist, können wir auch anfangen zu versuchen, unser Nafs zu bekämpfen. Im Grunde wissen wir doch alle, dass wir für das Jenseits leben und wir auch nur die Ziele im Jenseits anstreben sollten, aber durch diese irdischen Anziehungskräfte kommen wir immer wieder vom geraden Weg ab und verlieren unser Ziel vor Augen. Ja diese Anziehungskräfte hindern uns sinnbildlich daran, loszufliegen. Deswegen sollten wir immer wachsam sein und versuchen, unser Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. So Gott will, werden wir alle das Jenseits anstreben und dessen hohe Stufen erreichen. Hierfür ist aber Anstrengung notwendig.

 

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